Der Weg zum Himmel

Hinter der Kirche endet das Dorf. Früher endete hier die Welt.

„30 Gottesdienstbesucher“, wird der alte Herr sagen und dass es lange einen Pastor gab. Er wird einen Namen murmeln. Und dass da immer offenes Haus war, wird er auch sagen.

Als ich die Metallpforte zum Friedhof öffne, hat er mich schon lange gesehen. Ich ihn auch, im Augenwinkel. Er schiebt sein Fahrrad mit der daran festgebundenen Harke am Zaun entlang. Ein Hinweisschild an der Kirche sagt, wenn die Kirche einmal verschlossen sein sollte, erreichen sie den Küster unter der Nummer soundso. Rein huschen, nur einen Spalt öffnen. Tür wieder zu. Eine schöne leere Kirche mit Stühlen. An diesem abgelegenen Ort gibt es echte Stille. Sie lässt die Ohren rauschen.

Vielleicht haben die Jahre am Grenzzaun Sicherheit gegeben, Sicherheit, dass keiner kommt. Da kann die Tür ruhig offen bleiben. Oder war es Trotz? Wenn die Grenze schon zu war, dann blieb wenigstens der Weg zum Himmel offen. Als ich aufbrechen will, kommt er. Das ist jahrelang geübt.

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Kunst und Geist und Auferstehung

Rund 30 Kirchenleute auf Klassenfahrt stapfen im Herbst 2019 durch Halberstadt. „Tapfer schrumpfen“ war unsere Konventsfahrt überschrieben. Der Weg führte an alten Mauern entlang, über Kopfsteinpflaster, mitten durch das jüdische Viertel und über jüdische Friedhöfe. Stille Mahnmale kollektiver Schuld und des Versagens der Kirchen im Nationalsozialismus.

Links in der beginnenden Abenddämmerung sozialistischer Plattenbau und rechts immer noch alte Mauern. Ein Tor, so groß, dass Gespanne mit Bergen von Heu und Stroh hindurch rumpeln können. Ein überraschend riesiger Hof nach all den engen Gassen des Tages. Und im Abendlicht ein Baum auf dem riesigen Hof und eine Kirche, die vor dem leeren Platz erstaunlich klein wirkt.

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Bekehrung der Kirche

Tief unten in der Wüste steht ein wilder Kerl. So gar nicht gesellschaftskonform. Die feinen Städter der Jerusalemer Oberschicht mögen die Nase über Johannes den Täufer gerümpft haben. Wer zu ihm geht, muss sich hinabbegeben. Er muss im Wortsinne nach unten. Jerusalem mit seinem Tempel liegt auf einem Berg. Johannes tauft am Jordan. Der Höhenunterschied beträgt rund 1.000 Meter. Jerusalem liegt auf 700 Metern über dem Meeresspiegel. Der Jordan befindet sich in einer tiefen Senke, die etwa 250 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Tiefer kann man auf dem Landweg nicht herabsteigen.

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Augenblick und Gegenwart

Mitten im Hamburger Schanzenviertel steht seit 1970 das Jesus Center. Zum Schulterblatt hin öffnet das Café Augenblicke seine Türen. Dort haben wir es immer wieder mit Menschen zu tun, die schwere Lasten mit sich herumtragen. Neben heißen Getränken, Lebensmitteln und sehr günstigem (1,50 Euro) und an manchen Tagen kostenlosem Mittagessen ist das Zuhören vielleicht das wichtigste Angebot, das wir unseren Gästen machen können.

Vor einigen Tagen hat mich K. dabei gelehrt, was Vergebung bedeutet. Er ist Anfang 50 und lebt mal wieder auf der Straße.
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Gold, Weihrauch und Balthasar – Menschen und Namen

Die Veranstaltung hieß Straßenweihnacht. Eine Woche vor Heiligabend hatte der Verein Straßenblues dazu eingeladen. Und wie wir waren noch viel mehr Menschen davon angezogen. Der Veranstaltungsort, ein Tagesaufenthalt für Wohnungslose, war beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt.

Auf mich hatte diese Veranstaltung eine große Anziehungskraft ausgeübt. Ich war sicher, dass dies genau der richtige Weg ist, dass dies zu mir gehört. Dass es mir auf meiner Gottsuche weiterhelfen würde.

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem  und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. Lies weiter

Allerseelen, Bier und toter Otto

In ihrem Buch „Accidential Saints“ (Unheilige Heilige) beschreibt die lutherische Pastorin Nadia Bolz Weber die Tradition ihrer Gemeinde in Denver Colorado zu Allerseelen. Mehrfach taucht der All Saints Sunday in dem Buch auf. Allerseelen heißt das Totengedenken in der katholischen Kirche. Und auch die anglikanische Kirche feiert es. In meiner evangelischen Tradition ist mir dieses Fest jedoch noch nie so deutlich begegnet. Und schon gar nicht in der bunten Form, wie sie in dem Buch beschrieben wird.

Am Sonntag nach Allerheiligen wohnte ich stattdessen einem blutleeren evangelischen Gottesdienst bei, der für mich vor allem die Frage beantwortete, warum traditionell gegenüber einer Kirche eine Kneipe steht. Das ist zwar fast nur noch im Volksmund so, aber wenigstens dort. Ich hätte jedenfalls gut eine gebrauchen können, auch wenn ich Alkohol um 11 Uhr sehr schlecht vertrage. Als ich die Veranstaltung verließ, fühlte ich mich so leer, wie noch nie nach dem Besuch einer Kirche.

Dieses Gefühl der Leere zog sich durch den ganzen Nachmittag, den ich im Büro verbrachte. Ich musste noch arbeiten. Zwischendurch stolperte ich im Facebook über einen Eintrag des „House for All Sinners and Saints“, der Gemeinde von Nadia Bolz Weber.Lies weiter

Zwölf Dinge über Bergedorf

  1. Ein glückliches Kind auf dem Groschen-Schaukelpferd unter der Rolltreppe im City-Center strahlt, daneben der geduldig wartende Vater.
  2. Wochenmarkt am Schlosspark mit vielen Farben und Gerüchen. Am Eingang die Zeugen Jehovas mit gültigem Parkticket.
  3. Ruhebänke im Schatten mit ganz normalen Leuten darauf. Ein Mann um die 40 trinkt Dosenbier um 10.15 Uhr.
  4. Ein sehr freundlich-gelassener türkischer Herr im Bahnhofskiosk auf dem Bahnsteig der S-Bahn.
  5. Eine Hochzeitsgesellschaft vor dem Schlossteich mit Ballons und Sekt.
  6. Vierländer Tomaten für 3,99 Kilo im Blumenladen.
  7. Der Obdachlose, der immer meditierend in der Nähe der S-Bahn-Brücke sitzt, hat vorne keine Zähne.
  8. Ein Kontaktbereichs-Beamter trödelt durch die Straße. Polizisten mit dicken Westen holen sich asiatisches Essen am Bahnhof.
  9. Der Juwelier an der Ecke vor dem Bahnhof schließt für immer, so steht es auf den Schildern.
  10. Die Hinz- und Kunzt-Verkäuferin am Eingang zum Einkaufszentrum ist offensichtlich beliebt. Dauernd im Gespräch mit Pasanten.
  11. Ein einsamer Seifenblasenmann steht in der Fußgängerzone.
  12. Die Verkäufer am türkischen Gemüse- und Lebensmittelmarkt sind cool. Ältere Damen mit Kopftuch auch, prüfen die Ware kritisch und lassen sich nicht beeindrucken.